September 9, 2025

Zukunft dreht sich im Kreis

Markus Rhomberg
Geschäftsführung, Gremienbetreuung, Kommunikation und Partnerschaften
Was wäre, wenn Fortschritt nicht schneller, sondern sinnvoller wird?

Wenn es um Innovation geht, denken viele an das Silicon Valley, SpaceX-Raketen oder gläserne Hochhäuser in Singapur. Wer hingegen an Bregenz, Konstanz, St. Gallen oder Vaduz denkt, hat wahrscheinlich gerade ein Bodensee-Foto auf einem Hotelprospekt gesehen. Und doch liegt hier – zwischen Apfelplantagen, Photovoltaikmodulen und cleveren Instituten an Hochschulen und Universitäten – eine Zukunftsregion, die sich still und leise neu erfindet.

Die Vierländerregion Bodensee ist – wie der Name schon sagt – mehr als nur eine geografische Einheit mit Schifffahren, Kässpätzle oder Wellness mit Alpenblick. Sie ist ein Möglichkeitsraum. Oder, wie Florence Gaub vielleicht sagen würde: eine kleine, plausible Zukunft im Werden. Denn was, wenn die Region nicht nur ein schönes Reiseziel, sondern ein europäisches Zukunftslabor wird?

Kreislauf statt Karussell

Stellen wir uns für einen Moment vor, Innovation würde nicht nur in Gigabytes, sondern auch in Kompost gemessen. Nicht nur in Börsengängen, sondern in geschlossenen Stoffkreisläufen. Willkommen in der Welt der Kreislaufwirtschaft. Eine Ökonomie, die nicht auf ständigem Wachstum beruht, sondern auf Wiederverwendung, Reparatur, Reduktion.

Denn irgendwo zwischen Liechtenstein und Lindau entstehen smarte Recyclingmethoden, urbane Holzbaukonzepte und textile Innovationen aus Abfallstoffen. Ein leuchtendes Beispiel ist das Zürcher Taschenlabel FREITAG, das gemeinsam mit Hochschulen aus der Region Circular Tarp entwickelt hat, eine LKW-Plane, die vollständig zerlegbar, reparierbar und kreislauffähig ist. Aus Altem wird Neu – ganz ohne Science-Fiction.

Natürlich ist nicht alles perfekt. Der See, dessen Blau auf Instagram so friedlich glitzert, trägt Mikroplastik in sich. Und zwischen nachhaltigem Weinbau und E-Bike-Boom gibt’s immer noch zu viele Autos, zu viel Verpackung, zu viele alte Denkweisen. Der ökologische Wandel braucht nicht nur neue Technologien, sondern neue Routinen. Die größte Innovation ist vielleicht nicht eine neue App, sondern ein andere Haltung: weniger Haben, mehr Sein. Weniger „weiter, schneller“, mehr „länger, sinnvoller“.

Wissenschaft als Leuchtturm

Dabei hilft das, was die Region ebenfalls reichlich hat: wissenschaftliches Wissen. Zwischen HTWG Konstanz, Universität St. Gallen, Universität Zürich, FH Vorarlberg und anderen Instituten besteht eine grenzübergreifende und eng vernetzte Wissenslandschaft. Was dort geforscht wird, ist nicht nur Stoff für Publikationen, sondern Basis für echten Wandel. Hier werden biologisch abbaubare Materialien entwickelt. Lebenszyklen von Produkten werden analysiert wie früher das Wetter. Klimamodelle simulieren nicht nur Risiken, sondern auch Chancen und Lösungen.

Vielleicht müssen wir lernen, wie die Natur zu denken: vernetzt, zyklisch, geduldig. Die Zukunft ist dann nicht mehr nur das, was irgendwann einmal kommt. Sie ist ein Möglichkeitsraum, der schon heute beginnt. Und in der Vierländerregion beginnt er eben manchmal mit einem Pilotprojekt in Friedrichshafen, einem klimaneutralen Neubau in Vaduz oder einer grenzüberschreitenden Ideenwerkstatt in Romanshorn.

Manche mögen das belächeln. Doch der Wandel beginnt nicht in den großen Schlagzeilen, sondern in den kleinen Systemen. In vernetzten Gemeinden, in offenen Laboren, in Menschen, die sich trauen, neu zu denken – und manchmal sogar: anders zu handeln.

Die Zukunft kommt nicht. Sie wächst. Und manchmal wächst sie – kaum sichtbar – zwischen Apfelbaumreihen, Hochschulcampus und Solardachziegeln. Wer also den Innovationsgeist sucht, muss nicht zwingend ins Silicon Valley reisen. Ein Raddampfer über den Bodensee tut’s auch. Nur eben mit Strom aus der Region.

Bildnachweis: Erlend Ekseth/Unsplash

No items found.

Ähnliche Beiträge