August 25, 2022

Neues Arbeiten ist mehr als Homeoffice

Markus Rhomberg
Geschäftsführung, Gremienbetreuung, Kommunikation und Partnerschaften
Natürlich wurden diese Zeilen zu einem guten Teil am heimischen Küchentisch geschrieben, teilweise sogar außerhalb der sogenannten Kernarbeitszeiten. Wir Wissensarbeiter*innen haben es uns ganz gut darin eingerichtet, einen Teil unserer Arbeit nicht mehr am angestammten Arbeitsplatz oder der „üblichen“ Arbeitszeit zu verrichten. Ein knappes Viertel der Beschäftigten in Österreich hat 2020 Erfahrungen darin gesammelt, manche wollten und wollen wieder zurück, manche nicht.

Zwar arbeiten aktuell nur noch rund 10 Prozent am heimischen Schreibtisch, mit dem Begriff wird aber immer noch fast alles Positive und Negative verbunden, was als „Zukunft der Arbeit“ bezeichnet wird. Doch diese Engführung vernachlässigt viele Aspekte einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitswelt. Und in diesem Wandel stecken wir mittendrin. Auch die Universitäten und Hochschulen in der Vierländerregion Bodensee fragen danach, wie die Zukunft der Arbeit sich gestalten wird. Sie entwerfen Konzepte und erproben Möglichkeiten, wie wir Neues Arbeiten (oder: New Work) erfolgreich für Arbeitnehmer*innen, Talente und Unternehmen gestalten können.

Unsere Arbeitswelt verändert sich rasant. Die Digitalisierung beschleunigt und verselbständigt Prozesse, sie definiert neue Ansprüche von Kund*innen, Mitarbeiter*innen und Talenten. Und sie krempelt nahezu jede Organisation weltweit und in der Region um bzw. wird das tun. Manche sind darauf vorbereitet, andere (noch) nicht: In einer Befragung von Mitarbeiter*innen in KMUs in der internationalen Bodenseeregion im Rahmen des IBH-Lab KMUdigital sahen im Jahr 2019 noch 40 Prozent der Befragten eine fehlende Dringlichkeit für die Digitalisierung von internen Prozessen bei ihrem Arbeitgeber. Die Pandemie hat die Problemwahrnehmung hoffentlich geschärft.

In der Öffentlichkeit wird dennoch vor allem über Sinn und Unsinn von Homeoffice aus nahezu jeder Perspektive diskutiert. Wie aber mit neuen Formen des Arbeitens und dem tiefer liegenden Kulturwandel in Organisationen nicht nur experimentiert, sondern dieser auch wirklich angewendet wird und welche Folgen das haben könnte, ist immer noch eine Domäne von Spezialist*innen. Sprach man dazu beispielsweise mit Frithof Bergman öffnete sich ein ganz neues Wertesystem: Selbständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft! Das waren die Grundpfeiler des Arbeits- und Organisationsverständnisses des Professors an der University of Michigan.

Im Dickicht der Konzepte

Dass sich der Fokus, auch pandemiebedingt, vor allem auf das Homeoffice richtet, ist aber auch aus anderen Gründen kaum verwunderlich. Unter dem Schirm von Neuem Arbeiten versteckt sich eine Vielzahl von Ansätzen und Haltungen, um Arbeitsweisen zu verändern. Beispielsweise finden sich Modelle, die dabei helfen sollen, die Selbstorganisation zu fördern: Bei diesen geht es vor allem darum, klassische Hierarchien durch dezentrale Führungsmodelle zu ersetzen. Dazu brauche es transparente Regeln, Offenheit und ein klares Verständnis über die Kompetenzen der Mitarbeitenden. Arbeit wird nicht mehr in Abteilungen, sondern in zeitlich begrenzten Teams organisiert, die in der Zusammenführung unterschiedlicher Kompetenzen Projekte durchführen.

Im Zentrum steht dabei eine stärkere Selbstbestimmtheit der Mitarbeitenden. Doch dafür braucht es einen kulturellen Wandel am Arbeitsplatz und stärkeres Vertrauen in die Mitarbeitenden. Heike Bruch, Leiterin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St.Gallen konnte mit ihrem Team zeigen, dass als Folge der Pandemie zwar signifikant mehr in virtuellen Teams interagiert und vermehrt digitale Technologien und Kommunikationsformen eingesetzt werden. Neben diesen technologisch-strukturellen Anpassungen der Arbeitsplatzgestaltung erkennt ihre Studie aber nur eine geringe Intensivierung neuer Arbeitsformen. Kurzum, die Digitalisierung der Kommunikation hat in der Pandemie gut funktioniert, ein Kulturwandel geht aber nicht damit einher. Natürlich, ein Kulturwandel braucht Zeit, aber zu irgendeinem Zeitpunkt muss er von Jemandem angestoßen werden.

Fähigkeiten in Führung und Teams

Mit ein Grund dafür könnte sein, dass es besondere Kompetenzen bei Mitarbeitenden und Organisationen braucht, die dazu befähigen, den digitalen Wandel zu gestalten. Das „Future of Work Lab“ an der Universität Konstanz nutzt dafür den Begriff der digitalen Gewandtheit, also die Fähigkeit, zuverlässig angestrebte Ziele mit Hilfe von digitalen Technologien zu erreichen. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie diese gefördert werden kann und welche Auswirkungen sie auf Produktivität, Gesundheit und Agilität von Mitarbeitenden hat. Wichtig in diesem Zusammenhang ist dabei die Frage, wie es gelingen kann Organisationeinheiten effektiv zu führen. Die Konstanzer Forschenden konnten dabei zeigen, dass eine individuelle Differenzierung des Führungsverhaltens auf den einzelnen Mitarbeitenden eher kontraproduktiv wirkt und dass vielmehr ein kollektives Führungsverhalten das Mittel der Wahl sein sollte.

Ein wichtiges Kriterium für gute Führung ist dabei die emotionale Intelligenz. In einer Studie mit knapp 15.000 Befragten konnten Forschende des „Center for Leadership in the Future of Work“ an der Universität Zürich zeigen, dass je stärker Führungspersonen über die Fähigkeit verfügen, eigene und fremde Gefühle korrekt wahrzunehmen, zu verstehen und damit zu arbeiten, Mitarbeitende ihr Potential an Kreativität und Innovationsfähigkeit ausspielen können.

In gleichberechtigten Teams wiederum konnten die Zürcher Forschenden Hinweise darauf finden, dass Ratschläge unterschiedliche Konsequenzen haben können: vor allem die Art und Weise, wie Ratschläge in Teams weitergeben werden, spielt eine entscheidende Rolle dafür, ob diese gefolgt wird: während unaufgeforderte Ratschläge in Teams als eigennützig verstanden werden können, werden erbetene Ratschläge als prosozial und Hilfestellung wertgeschätzt.

Für einen organisationalen Kulturwandel bedeutet das: egal, ob Führungskraft oder Mitarbeiter*in ihn anstoßen, es braucht emotionale Intelligenz und das Umfeld für gute und erbetene Ratschläge.

Auch das Kleingedruckte lesen

Bei aller Euphorie und Enthusiasmus neue Formen des Arbeitens in Organisationen auszuprobieren und einzuführen, sollte man auch das das Kleingedruckte lesen: Neues Arbeiten kann aufwendig, intensiv und zeitraubend sein. Oder wie es die Organisationssoziologin Judith Muster im Magazin brand eins beschreibt: Meist seien Agilität oder andere Formen des neuen Arbeitens eine Antwort auf gewachsene Organisationsprobleme; und die Behebung solcher tieferliegenden Problemstellungen verursache eben Schmerzen. Gefährlich werde es dann, wenn „unter Schlagworten wie Empowerment eine Rhetorik der Emanzipation benutzt wird, um Mitarbeiter moralisch zu erpressen“.

Eine Auswahl von Instituten, die sich mit der Zukunft der Arbeit in der Vierländerregion Bodensee beschäftigen:
Universität Konstanz, Future of Work Lab
Universität St.Gallen, Institut für Führung und Personalmanagement
Universität Zürich, Center for Leadership in the Future of Work

Der Text ist im Juli 2022 im Magazin Thema V erschienen.

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