August 7, 2022

Blind Date vorm Labor

Jens Poggenpohl
Redaktion und Kommunikation
Die Suche nach den nächsten drei Labs in der Vierländerregion Bodensee hat begonnen. Bei der Bildung dieser Netzwerke für Forschung und Innovation für den digitalen Wandel in der Vierländerregion Bodensee geht der Wissenschaftsverbund neue Wege.

Gewiss, das Bild des Forschenden im stillen Kämmerlein hat mit der Hochschulrealität nicht mehr viel zu tun. Doch das was, was Fabian Takacs Ende März erlebte, war für ihn doch sehr ungewöhnlich: „Wie in einer Art Blind Date“ fühlte sich der 29-Jährige, der an der Universität St.Gallen promoviert, während des zweitägigen virtuellen Workshops, zu dem der Wissenschaftsverbund eingeladen hatte. Das Ziel: neue Ideen und Teams für die zweite Runde der Labs zu finden, die 2022 starten werden. Die Methode: ein virtueller Design Thinking-Prozess. Die Akteure: 180 Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus der Vierländerregion Bodensee — von denen sich Viele bei dieser Gelegenheit erst kennenlernten.


„Diese Reaktion steht stellvertretend für viele der Feedbacks, die uns in den vergangenen Tagen erreicht haben“, freut sich Markus Rhomberg, Geschäftsführer des Wissenschaftsverbunds, „denn genau dies wollten wir erreichen: Aus klassischen und bestehenden Strukturen und Konstellationen ausbrechen um neue Teams mit guten Ideen zu finden“. In der Tat: Im Vergleich zu den Vorbereitungsworkshops der ersten IBH-Labs 2016 verdoppelte sich die Teilnehmer*innenzahl fast.

„Was uns besonders freut: Wir konnten viele unterschiedliche Hochschulen, Institute, Unternehmen und andere Partner*innen aus der Praxis gewinnen, die gemeinsam diese Expedition angehen wollen “, erzählt Thomas Kohler von der Agentur Conui, die gemeinsam mit dem Wissenschaftsverbund die Ideenfindungsphase konzipiert und umgesetzt hat.

Der Experte für Innovationsprozesse weiss, wovon er spricht: Mit seiner Agentur setzt er seit Jahren Design-Thinking-Prozesse für Unternehmen und kollaborative Teams aus Wissenschaft und Praxis um.

Inspiration Panels zu vier Themen

Dem Ideenworkshop vorausgegangen waren vier sogenannte Inspiration Panels, in denen Expert*innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und dem Silicon Valley über die Themenbereiche diskutierten, die die Labs des Wissenschaftsverbunds jeweils vier Jahre lang bearbeiten werden: die Zukunft der Arbeit, „Digital Health“, die Mobilität der Zukunft sowie Wege zu einer nachhaltigen Bodenseeregion. Insgesamt waren damit rund 350 Forschende und Praxispartner*innen in die Ideenfindungsphase eingebunden.

Mehr als 30 Lab-Vorschläge zählten die Organisator*innen vor den Ideenworkshops, 20 Teams stellten ihre Vorschläge zur Diskussion — darunter auch jenes von Fabian Takacs. Er forscht am Lehrstuhl von Karolin Frankenberger zur „Circular Economy“ und nachhaltigen Geschäftsmodellen. „Wir waren begeistert von der Ausschreibung, weil die Idee der Labs verschiedene Aspekte der Kreislaufwirtschaft aufgreift“, erklärt Takacs.

So habe man in der Forschung wiederholt festgestellt, dass Unternehmen sich häufig schwer damit täten, ausserhalb ihrer Organisation Lösungen zu finden, obwohl diese womöglich nur wenige Kilometer entfernt angeboten werden. „Wear2Wear“, ein Verbund von Textilunternehmen der Region, den die Uni St.Gallen begleitet, ist ein Beispiel dafür, wie sich Unternehmen ergänzen können. Doch auch in anderen Sektoren, etwa der Ernährung, seien die Potenziale gross. Dass man im Rahmen des „Blind Date“ mit einem Team der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zum Thema Produktion sowie mit Marketingexperten der Ostschweizer Fachhochschule (OST) ins Gespräch kam, freut Takacs umso mehr. Die zufällige Zusammensetzung der Teams habe anfangs zwar Zeit gekostet — der kreative Austausch nach den Workshops sei aber erfreulich intensiv.

Ein „place to go“ für die neue Arbeitswelt?

Auch die anderen Gruppen konzipieren derzeit Skizzen potenzieller Labs. Ein Team will die Vierländerregion als internationalen „place to go“ für neue Formen der Arbeit entwickeln und positionieren. So weit entfernt sei diese Vision gar nicht, erklärt Alexandra Cloots, Leiterin des HR-Panels New Work an der OST. „Die Region verfügt über interessante Firmen und hohe Freizeitwerte für eine gesunde Work Life-Balance. Wenn in der Breite auch noch eine tolle Arbeitskultur hinzukäme, in der man gerne arbeiten möchte, wäre das hochattraktiv“, so Cloots, die als Zielgruppe innovativer Arbeitsmodelle nicht nur die Generation U50 verstanden wissen möchte.

Im Juli beginnt die zweite Phase

Dass die neue Arbeitswelt allerdings nicht automatisch auch die gesündere ist — diese Erfahrung hat Philipp Kessler gemacht, als er 2009 in Berlin sein erstes Startup gründete. Mit dem Start up-Netzwerk Bodensee, in dem Kessler und sein Team seit 2017 ein Netzwerk von inzwischen über 80 jungen Unternehmen und 100 Multiplikator*innen aufgebaut haben, folgt man einem anderen Leitbild. „Wir wollen in Zukunft noch viel stärker auf ein sozial nachhaltiges Unternehmertum hinarbeiten und damit in der Region ein Gegenmodell zu dem schaffen, das man aus den Metropolen kennt.“

Auf die Teilnahme an den Ideenworkshops hat sich das Start up-Netzwerk gut vorbereitet. Während Kessler im Team von Alexandra Cloots mitarbeitete, war seinen Kollegin Miriam Schuster im Bereich Nachhaltigkeit unterwegs. Zwei Eisen im Feuer zu haben, ist vermutlich keine schlechte Idee, denn der Auswahlprozess dürfte genauso herausfordernd werden wie die Workshops. „Zehn bis zwölf“ Lab-fähige Vorschläge gibt es schon jetzt, schätzt Markus Rhomberg, doch nur drei von ihnen werden in den Genuss der jeweils bis zu 2,5 Millionen Euro Fördermittel für vier Jahre kommen.

Am 7. Mai 2022 reichten 14 Teams aus allen vier Ländern ihre Projektideen eingereicht, es folgen die Beratungen des Evaluationsgremiums und des Vorstands des Wissenschaftsverbunds, ehe die Teams am 23. Juni erfahren, ob und in welcher Form ihr Antrag es in die nächste Runde geschafft hat. Ende September muss dann der komplette Antrag inklusive eines Finanzplans und des Konsortiums stehen.

Die Ergebnisse der ersten Runde der IBH-Labs finden Sie hier.

Bildnachweis: IBH / Hannes Thalmann

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