August 24, 2022

Ohne Kommunikation geht es nicht

Jens Poggenpohl
Redaktion und Kommunikation
Über welche Kommunikationskompetenzen müssen Ingenieur*innen heute verfügen? Bilden Hochschulen die richtigen Kompetenzen aus? Und wie unterscheiden sich die akademische und die unternehmerische Perspektive auf dieses Thema? Ein Gespräch mit Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis zum Abschluss des Projekts Professional Literacy: Kommunikationskompetenzen für Ingenieurinnen und Ingenieure.
Prof. Dr. Annette Verhein-Jarren ist Professorin für Kommunikation sowie Partnerin im Institut für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz der Ostschweizer Fachhochschule (OST). Sie war Mitglied im Projekt „Professional Literacy“.
Dr.-Ing. Klaus Kuhn ist Leiter Technik bei der Andritz Hydro GmbH, die sich weltweit mit dem Bau von Wasserkraftwerken beschäftigt — und hat sich damit einen Jugendtraum erfüllt. Er wollte schon mit 14 Jahren am liebsten Wasserturbinen bauen.
Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter ist Professor für Maschinenbau an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) und zudem Auslandsbeauftragter seiner Fakultät. Vor seiner Hochschulkarriere war er in der Entwicklung beim Automobilhersteller Audi beschäftigt.
Frau Verhein-Jarren, was waren die wichtigsten Erkenntnisse Ihres Forschungsprojekts?

Annette Verhein-Jarren: Wir haben in unseren Interviews und Workshops viele Übereinstimmungen zwischen Dozierenden und Unternehmensvertreter*innen gefunden, aber auch durchaus perspektivischen Eigensinn. Präsentieren, Schreiben, zwischenmenschliche Fähigkeiten sind Themenfelder, die von beiden Seiten als wichtig angesprochen worden sind. Beim Schreiben orientieren sich die Hochschulen sehr stark an dem, was man im Umfeld von Projektberichten verorten könnte. Dass zum berufspraktischen Alltag auch E-Mails und andere Formen schriftlicher Kommunikation gehören, ist — anders als bei den Unternehmen — eher nicht in ihrem Fokus. Auch im Bereich des Mündlichen wollen die Unternehmen kommunikative Anwendungssituationen. Um einen handlungsorientierten Unterricht bemühen wir uns an den Hochschulen natürlich auch schon, aber wir stellen nur einen Praxisbezug her und sind nicht die Praxis.

Dann fragen wir doch mal den Praktiker in der Runde: Herr Kuhn, Sie sind in leitender Funktion überall auf der Welt mit dem Bau von Wasserkraftwerken beschäftigt. In was für kommunikative Herausforderungen gerät man da — und was ist die Besonderheit für Neulinge?

Klaus Kuhn: Unsere Projekte dauern sehr lange, und schon vor dem Zustandekommen gibt es eine lange Kommunikationsphase mit dem Kunden, um seine Anforderungen zu verstehen. Die technischen Fragen sind dabei meist relativ einfach zu lösen, aber es geht auch um finanzielle Aspekte, später dann um Qualität auf der einen und Termindruck auf der anderen Seite. Da muss man den richtigen Ton finden, muss vor allem authentisch bleiben. Ich habe vor einiger Zeit intern mehrere Projekte daraufhin untersucht, was sie erfolgreich gemacht hatte. Zu den wichtigsten Punkten zählt, dass der Kunde auch technisches Sachverständnis hatte, kooperativ war und vernünftig, frühzeitig und regelmäßig miteinander kommuniziert wurde.

Kann man dieses «vernünftige Kommunizieren» an einer Hochschule erlernen?

Kuhn: Am wichtigsten sind ein offener Geist und ein Gespür für bestimmte Situationen — zumal es ja einen Unterschied macht, ob ich es mit einem Kunden in Mexiko oder China zu tun habe. In unserer Branche sagt man, es brauche 10 Jahre, um stabil alleine vor dem Kunden zu stehen. Dazu gehört, sich nicht zu voreiligen Äußerungen hinreißen zu lassen, aber auch zuzugeben, wenn man einen Fehler gemacht hat.

“Die Reflexion von Kommunikationssituationen ist wichtig, um die Studierenden zu präparieren”. Prof. Dr. Annette Verhein-Jarren

Ralf Stetter: Über solche Kompetenzen in der Vorlesung zu dozieren würde wenig bringen, da bleibt nicht viel hängen. In unserer projektorientierten Lehrformen gibt es aber durchaus ähnliche Situationen. Ich denke da vor allem an unser Team in der Formula Student. Das ist ein internationaler Wettbewerb, bei dem es darum geht, in Teamarbeit einen Rennwagen zu konstruieren und wirtschaftlich zu fertigen und bei dem es viel darauf ankommt, mit unterschiedlichen Zielgruppen richtig zu kommunizieren. Zu glauben, damit zehn Praxisjahre ersetzen zu können, wäre eine Illusion, aber wenn wir den Einstieg erleichtern können, haben wir schon viel erreicht.

Verhein-Jarren: Diese Projektarbeit ist sehr wichtig, zugleich ist sie für die Studierenden aber ein reines Erfahrungslernen. Die «Lessons learned», die Herr Kuhn für seine Projekte gesammelt hat, sind demgegenüber eine Form der Reflexion, in der es auch in unseren Kursen ankommt: dass ich lerne, worauf genau ich zu achten habe, wenn ich mit Menschen aus anderen Kulturen zusammenarbeite, welche Modelle und Fallstricke es dafür gibt. Die Reflexion solcher Kommunikationssituationen ist wichtig, um die Studierenden zu präparieren.

Kuhn: In der Hochschule kann man den Acker bestellen und den Samen setzen — die Pflanze wächst dann sowieso innerhalb der Industrie und der Gesellschaft, zum Teil auch parallel. Das ständige Lernen im Leben gehört dazu, und mit 40 ist man zumeist reifer als einer mit 25. Wichtig ist, dass man zu diesem Lernen bereit ist. Unseren jungen Ingenieuren sage ich oft, dass der Anfang ein bisschen frustrierend sein kann. Man selbst hat zehn Fragen, und umgekehrt fragt keiner einen etwas. Aber irgendwann mal hat man eine spezielle Aufgabe gelöst und ein Kollege mit einer ähnlichen Herausforderung denkt sich: «Den frag ich jetzt mal!» Und umso länger man dabei ist, desto mehr wird man gefragt.

Der Professional Literacy-Kosmos wurde vom Projektteam entwickelt. Sie finden ihn hier.

Haben sich diese kommunikative Anforderungen in den vergangenen Jahre eigentlich verändert?

Kuhn: Nicht so sehr, glaube ich. Nehmen wir unsere Gesprächssituation in einer Onlinekonferenz. Man sieht in andere Gesichter und spricht. Das ist schon nah an einer Besprechung in einem gemeinsamen Zimmer.

Verhein-Jarren: Es ist nicht grundsätzlich anders, aber es modifiziert sich, und macht zum Beispiel die Aufwärmphase anspruchsvoller, im analogen Gespräch kann ich über die Körpersprache sehr schnell feststellen, ob man beieinander ist. Digital ist das schwerer.

Kuhn: Bei uns haben sich vor der Pandemie alle leitenden Ingenieure regelmäßig getroffen, die technischen Leiter zweimal im Jahr. Das fehlt jetzt natürlich, denn gerade in schwierigen Situationen ist die Zusammenarbeit einfacher, wenn man sich schon mal gesehen hat. Gerade habe ich mit einem Kollegen in Indien telefoniert, den ich schon lange kenne. Das ziehe ich der E-Mail vor.

Was ist mit den neuen digitalen Kanälen und Plattformen? Muss man das an Hochschulen lehren?

Stetter: Unser Datenschutzbeauftragter würde mich vom Hof jagen, wenn ich intensiv in Richtung Social Media arbeiten würde! Aber ich glaube auch nicht, dass dies zielführend wäre. Meine Studenten beherrschen die Plattformen meist besser als ich, und in der Industrie wird sowieso in drei Jahren etwas Neues verwendet. Wir dürfen also etwas altmodisch sein.

Verhein-Jarren: Ja, Tool-Schulungen sind Unsinn. Herr Kuhn hat aber eben den wichtigen Punkt des Abschätzens angesprochen: Was bedeutet das, wenn man sich nicht sieht? Wann ist es besser zu telefonieren als eine E-Mail zu schreiben? Solche Reflexionen — und auch das zeigen die Ergebnisse des Projekts — stellen wir in unseren Kursen noch zu wenig an.

Stetter: Aber wenn wir es tun, dann bitte toolunabhängig und unter der Prämisse, welche Stärken und Schwächen der jeweilige Kanal hat. In zehn Minuten kann man eben mehr E-Mails schreiben als Telefonate führen.

Verhein-Jarren: Man weiß eben nur nicht immer, ob man dann eine Reaktion kriegt — und ob es die gewünschte ist.

Kuhn: Man kann mit einer E-Mail ziemlich viel Unheil anrichten. Es gibt in jedem Unternehmen die Kameraden, die gerne mal eine schnelle Mail raushauen. Die müssen Sie warnen. Ich bitte in diesen kritischen Fällen darum, lieber eine Nacht darüber schlafen und den Entwurf eventuell mit mir zu besprechen.

“Wir müssen zu intelligenten integrierten Konzepten kommen”. Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter
Zumindest in einem scheinen wir uns einig zu sein: Das Thema ist wichtig. Aber wirklich dringend scheint es nicht zu sein, wenn man auf das Curriculum blickt. Kommunikationsthemen machen in der Ingenieursausbildung etwa 10 % aus. Ist es aus Sicht der Hochschullehrer*innen realistisch, dass sich daran etwas ändert, oder müssen Sie noch klüger und effizienter mit den Ressourcen umgehen?

Verhein-Jarren: Sicher wäre mehr Raum für diese Inhalte wünschenswert, aber auch die fachliche Welt dreht sich weiter, und überhaupt ist man hier in einer harten Konkurrenzsituation. Ich würde mich daher in erster Linie darauf konzentrieren, den Bereich zu optimieren, in dem wir Spielraum haben. Wenn man zum Beispiel konkrete Unternehmensbeispiele, von denen uns Herr Kuhn berichtet hat, als Material in den Unterricht einbringen könnte, wäre das super.

Stetter: Wir müssen zu intelligenten integrierten Konzepten kommen, in denen in einem technischen Projekt Reflexionsschleifen und Kommunikationsthemen eingewoben sind.

Kuhn: Das wäre sicher das Geschickteste. Wir verdienen unser Geld ja nicht durch Kommunikation, sondern indem wir wunderschöne Maschinen bauen.

Verhein-Jarren: Aber Sie selbst haben vorher dargelegt, wie wichtig dafür die Kommunikation ist.

Kuhn: Ohne sie geht es nicht, ja.

Stetter: Ich würde mir bei den Fallbeispielen auch solche wünschen, bei denen mal etwas richtig schiefgelaufen ist. Aus der Industrie hört man nur die Erfolgsstories. Und unsere Studenten denken dann, dass in der Industrie auch wirklich alles funktioniert.

Kuhn: Ich bin eher der Typ, der lieber das Positive beleuchten und fördern will.

Verhein-Jarren: Aber jede Erfolgsstory hat doch sicher kritische Weggabelungen?

Kuhn: Das ist klar. Ein einfaches Beispiel: In einem Vertrag gibt es eine unklare Formulierung. Spreche ich sie an oder wecke ich damit schlafende Hunde? In der Praxis ist es meistens richtig, auf den Kunden zuzugehen und ihm einen technisch begründeten Vorschlag zu unterbreiten. Ein anderes Beispiel: Ich saß einmal mit Kollegen auf dem Weg vom Flughafen Altenrhein nach Ravensburg im Auto. Ein portugiesischer Kunde hatte einen Berechnungsbericht nicht akzeptiert. Es gab Mails in die und andere Richtung, Jeder hatte irgendwie recht — eine unangenehme Situation. Wir diskutierten hin und her, und irgendwann kamen wir darauf, dass es sich um einen simplen Übersetzungsfehler handelte.

“Die einzigen Kündigungen in der Probezeit, die ich jemals aussprechen musste, waren aus Kommunikationsgründen”. Dr.-Ing. Klaus Kuhn
Das ist ein gutes Stichwort für das Thema Internationalität. Herr Stetter, Sie sind Auslandsbeauftragter Ihrer Fakultät. Wie erfolgreich sind Sie darin, Ihren Studenten den Weg in die Welt schmackhaft zu machen?

Stetter: Ich beackere da ein schwieriges Feld. Wir haben in erster Linie männliche Studierende aus der Region, und viele davon wollen nicht weg. Wir arbeiten daran, aber die Zahlen lassen sich schwer steigern und haben durch die Pandemie einen Dämpfer erlitten. Ich werde aber nicht aufhören, es zu promoten! Ideal wäre es, wenn unsere Studenten im Rahmen ihres Praxissemesters in eine Auslandsgesellschaft eines Unternehmens gehen könnten. Das wäre leichter zu machen als ein Auslandsstudium.

Kuhn: Gibt`s da keine Möglichkeit?

Verhein-Jarren: Doch, aber angehende Maschinenbauingenieure lernen, dass sie effizient arbeiten sollen. Und bei allen Vorteilen, die das Bachelorsystem auch hat: Studierende verlieren meist ein Semester, wenn sie ins Ausland gehen — ganz abgesehen von Finanzierungsfragen. Und wenn man nicht gelernt hat, dass ein vermeintlicher Umweg wie ein Auslandssemester später sehr effizient sein kann, ist es schwer, sie davon zu überzeugen.

Kuhn: Ich habe mir damals ein Auslandssemester genommen und vier Monate lang in einem Wasserkraftwerk in Ägypten gearbeitet. In meiner Wohnsiedlung war ich ein absoluter Exot, jeden Morgen haben mich die Arbeiter hinten auf dem LKW mit zum Kraftwerk genommen. Das war toll! Solche Chancen muss man nutzen. Und aus meiner Erfahrung in Bewerbungsgesprächen kann ich sagen: Auch ungewöhnliche Wege sind möglich, man muss sie später nur begründen können. Was mir übrigens jetzt erst einfällt: Die einzigen Kündigungen in der Probezeit, die ich jemals aussprechen musste, waren aus Kommunikationsgründen.

Stetter: Das müssen Sie unseren Studenten erzählen — uns glauben sie es nicht!

Kuhn: Das können wir gerne so ins Auge fassen.

Verhein-Jarren: Ich nehme Sie sofort beim Wort!

Das Projekt

Damit angehende Ingenieur*innen Professional Literacy erreichen können, müssen im Studium auch die fach- und berufsspezifischen kommunikativen Kompetenzen ausgebildet werden. Welche dies sind und was daraus konzeptionell für Lehrveranstaltungen folgen sollte, hat das Projekt Professional Literacy: Kommunikationskompetenzen für Ingenieurinnen und Ingenieure erforscht. In dem von der Internationalen Bodensee-Hochschule geförderten Projekt hat ein Team von Forschenden der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der Hochschule Kempten, der Hochschule Ravensburg-Weingarten sowie der Ostschweizer Fachhochschule mit Vertreter*innen von Hochschulen und Unternehmen Umfragen, Interviews und Workshops durchgeführt. Daraus abgeleitet wurde der «Professional Literacy-Kosmos». Alle Informationen zum Projekt finden Sie hier.

Kontakt: Dr. Oliver Winkler, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wino@zhaw.ch


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