March 7, 2023

Nur so kommen Innovationen in die Welt

Jens Poggenpohl
Redaktion und Kommunikation

Katja Völcker (Blum) und Bernd Schmid (Airbus) über das erste cross-sektorale „Working Out Loud“-Programm in der Vierländerregion – und was sie sich von der Begegnung von Unternehmen und Hochschulen versprechen.

 

Bernd, Du bist von Haus aus Controller. Das ist nicht unbedingt der erste Bereich, den man mit einem New Work-Thema wie Working Out Loud assoziiert. Warum passen die Welt der Zahlen und WOL doch zusammen?

Bernd Schmid: Ich bin ein „Hardcore Financer“ und betreue schon seit vielen Jahren richtig trockene Themen wie Accounting und Controlling. Ich hatte 2017 die erste Begegnung mit Working Out Loud, als ich in München John Stepper getroffen habe ...

...den Erfinder des WOL-Ansatzes.

Schmid: Damals hatte ich ein Projekt, in dem es darum ging, die Finanzkennzahlen jeden Monat viel schneller aufzubereiten. An diesem Prozess sind viele unterschiedliche Menschen beteiligt, und irgendwann war mir klargeworden, dass wir nur weiterkommen würden, wenn wir uns viel mehr mit den Mitarbeiter*innen beschäftigen. Damals haben wir ein Kanban Board eingeführt, um die Leute besser miteinander zu vernetzen.

Das Schlüsselerlebnis für mich war, als mir jemand sagte: „Wenn du mich jeden Tag in so einem agilen Daily fragst: ‚Wie geht`s dir heute? Was tust du heute, was hast du gestern getan, was blockiert dich?‘, dann gibt mir das regelmässig Herzschmerzen. Diese Offenheit, dieses Teilen – so weit sind wir noch nicht.“ Da bin ich darauf gekommen, dass etwas Wesentliches fehlte: nämlich Vertrauen. WOL sehe ich als Methodik, die unheimlich viel Vertrauen aufbaut.  

„WOL sehe ich als Methodik, die unheimlich viel Vertrauenaufbaut.“ -- Bernd Schmid, AirbusDefence and Space

Katja, bei Dir scheint die Verbindung klarer zu sein. Du bist bei Blum International Consulting unter anderem für Trends und Entwicklungen zuständig, es gehört also vermutlich zu deinem Jobprofil, neue Arbeitsformen auszuprobieren.

Katja Völcker: Ich bin aus der Universität zurück in die Industrie gegangen, um mich dort mit Lernen und Entwicklung zu beschäftigen. Für Blum hatte ich damit begonnen, ein internationales Lernnetzwerk für Führungskräfte zu entwickeln. Wir haben ungefähr drei Viertel unserer Kolleg*innen in Vorarlberg, da sind die Wege kurz und wir haben einen ganz offenen, herzlichen Umgang miteinander. Ein Viertel arbeitet weltweit, verteilt auf 33 Länder. Die Idee war, für diejenigen, die sich nicht so häufig sehen können, nicht ein Repertoire an Kursen anzubieten, sondern sie persönlich in Kontakt zu bringen.

Ich habe nach einer Methode gesucht, die es erlaubt, diesen Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen Backgrounds und ihrem sehr fordernden Tagesgeschäft etwas Strukturiertes an die Hand zu geben, um zum Thema Führung und Zusammenarbeit Beziehungen aufzubauen. Und WOL ist eine Methode, um mit anderen zu arbeiten und sich selbst in dieser grossen, vernetzen und unübersichtlichen Welt zu führen.  

 Wie funktioniert WOL denn konkret?

Schmid: Man geht von einem Peer-Coaching-Ansatz aus, das heißt, man führt sich gegenseitig selbststeuernd innerhalb eines „Circles“. Ein Circle besteht aus vier bis fünf Menschen, möglichst mit diversem Hintergrund, die über ein Zeitinvestment von etwa einer Stunde pro Woche innerhalb von zwölf Wochen ihr persönliches Ziel – sei es privater oder gesellschaftlicher Art oder im Businesskontext – verfolgen.

Dieses Ziel sollte nicht zu gross und nicht zu klein sein, und die Peer-Gruppe sollte einem dabei helfen können, es zu erreichen. Mit Hilfe eines Workbooks und etwa 30 Übungen lernt man sich kennen und erfährt, wie man die Beziehungen nutzen kann – auch die Beziehungen der Beziehungen. Das Wissen, wer die Menschen sind, die einem helfen können, entsteht meist schon in der ersten Woche.

In den nächsten Wochen geht es dann darum, wie man diese Leute adressiert oder auch darum, sein Profil in sozialen Netzwerken so attraktiv zu gestalten, dass man connectable ist. So entsteht eine Reise, von der die meisten total begeistert sind und als Freunde auseinandergehen.

Bernd Schmid ist Programme Manager für Sustainable Change and Transformation. Zuvor war er kaufmännischer Geschäftsführer und Kaufmann und Offizier auf Zeit. Gemeinsam mit Kolleg*innen aus anderen Unternehmen initiierte er viele WOL Events am Bodensee und darüber hinaus.

Ich muss also nicht mehr mitbringen als Offenheit,ein wenig Zeit und ein Ziel.

Völcker: In der Vorbereitung gibt es Tipps und Anweisungen dazu, welche Ziele sich eignen und welche eher nicht. Bernd hat schon ein paar genannt. Das Ziel sollte wichtig genug sein, um sich über zwölf Wochen lang damit zu beschäftigen. Diese Zeit investiert man nur, wenn es auch pressiert.

„Der offene Zugang bei WOL ist für die wissensbasierte Arbeitswelt der Zukunft etwas enorm Wichtiges“ -- Katja Völcker, Blum International Consulting

Welche Frage hattet Ihr zum Beispiel?

Schmid: Ich wollte anfangs mehr über Agilität erfahren, damals wie heute der grosse Hype. Wie arbeite ich selbst so? Wie bringe ich das meinem Team oder grösseren Gruppen bei? Dann ging es weiter mit Themen wie Personal Branding oder Selbstständigkeit.

Völcker: Mein erstes Ziel war eigentlich sehr unkreativ: Wie bringe ich ein auf Selbststeuerung basierendes, internationales Lernnetzwerk in eine Industriekultur? Da wird das nicht gerade erwartet. Mein zweites Ziel war: Wie mache ich WOL bei Blum auch über die Grenzen des International Leadership Network hinaus grösser? Mein dritter Circle war 2020 in der Pandemie, da ging es um meine persönliche Sichtbarkeit, also: Wie nutze ich gerade auch digitale Netzwerke mehr, um meine Themen schneller voranzubringen?

Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht? Die beliebteste Metapher, die man dazu findet und die Bernd eben auch benutzt hat, ist die der Reise.

Völcker: Für mich passt die Reise-Metapher so gut zu WOL, weil wir in der Arbeitswelt noch sehr stark in Input-Output-Relationen denken, sehr fokussiert und durch die Arbeitsteilung sehr auf das Eigene konzentriert. So entstehen Silos. Wir wissen aber aus der Innovationsforschung und der Netzwerktheorie, dass die Überraschungen abseits dieses engen Fokus lauern.

Und der offene Zugang bei WOL ist für die wissensbasierte Arbeitswelt der Zukunft etwas enorm Wichtiges. Nur so kommen Innovationen in die Welt, und das lernt man in WOL-Circles: Wenn man mit Offenheit hineingeht, wird man laufend überrascht, was jemand zu bieten hat, was man nicht wusste und was man tun könnte, wenn man A,B,C miteinander in Verbindung brächte. Die einzige Frage bei der Reise-Metapher ist dann nur noch, ob man auch da ankommt, wo man ankommen wollte oder woanders – was aber auch ganz wunderbar ist.

Katja Völcker arbeitet bei Blum International Consulting, einem Beratungsteam, das vor allem die in Vorarlberg beheimatete Blum-Gruppe mit ihren weltweit verteilten Niederlassungen in Fragen der Personal-, Organisations- und Unternehmensentwicklung berät. Zuvor war die Diplom-Wirtschaftswissenschaftlerin Kanzlerin und Geschäftsführerin der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

Eurer Selbstbeobachtung nach: Hält diese Haltung über die Zeit des Circles an?

Schmid: Bei mir hat sich die Haltung komplett verändert. Ich bin in vielen Nachhaltigkeitsprojekten, mache Linked.in- Live Talks – da sind Projekte entstanden, die ich mir niemals zugetraut hätte. Zum Beispiel hatte ich mal den Auftrag, eine Best Practice Sharing-Plattform zu machen. Es war sehr mühsam. Ich dachte mir dann: Warum so kompliziert? Warum verknüpfen wir nicht die Menschen, die das Wissen haben?

Aber dazu braucht es eine Beziehung zwischen diesen Menschen, die aber schon vorher da sein muss – und die man über WOL stiften kann. Auf dieser Basis läuft der Wissensaustausch dann wirklich so schnell, wie man sich es wünscht. Und so ist es auch bei grossen Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimawandel. Die kann man nicht mehr in Silos lösen, sondern nur noch, in dem man Menschen miteinander verknüpft, Beziehungen herstellt.

Und das Netzwerk – wie lang hält das?

Schmid: Ewig. Ich bin allen aus meinen zwölf Circles sehr verbunden. Ich empfinde das als tiefes Netzwerk , das man immer wieder fragen kann und in dem man immer wieder gefragt wird.

Völcker: Der Kontakt mit dem eigenen Circle ist ein Element, aber eigentlich dient der ja dazu, mit weiteren Leuten ausserhalb des Circles um das eigene Thema herum in Kontakt zu kommen. Und das führt zu langfristigen, auch Arbeitsbeziehungen. Der dritte Aspekt betrifft das Mindset: dass man generell offener ist und die Zeit investiert, weil man weiss, das die gut zurückkommt. „WOL‘ies“ gehen besonders nett miteinander um.

Was versprecht Ihr euch von der besonderen cross-sektoralen Konstellation?

Völcker: Aus meiner Erfahrung sind die Vorgehensweisen und Denkmuster unterschiedlich. In einem produzierenden Unternehmen wie unserem ist Innovation wahnsinnig wichtig, aber wenn die Maschine am Ende des Bands keine Teile mehr auswirft, wird jeder nervös.

Für Wissenschaftler*innen zählt eher das, was man noch wissen könnte und wie man sich dem methodisch annähern kann. Und bei Studierenden geht es oft darum: Wie ist meine Position in der Welt? Wie kann man was unternehmen? Wir denken in diesem Projekt ja auch viel an Start up-Themen, an Geschäftsmodelle, an das, was die Industrie künftig braucht.

Wir glauben, dass es anregend ist, diese Diversität herzustellen und persönliche Beziehungen zwischen Hochschulen und Industrie zu fördern. Denn häufig sind es diese Beziehungen, die etwas ins Rollen bringen. Wir versprechen uns einen Hebel, um Menschen in die Welt zu schicken, die in solchen cross-sektoralen Konstellation waren und den Austausch als Multiplikator verstärken können.

Schmid: Diese Konstellation finde ich super! Wir suchen alle immer nach Talenten, und als Student weiss man oft gar nicht, welche Talente und Möglichkeiten man hat. Im Circle wird einem das klarer. Für Unternehmen ist es interessant, eine Vielfalt von Menschen wirklich kennenzulernen. Bei einer Übung bei WOL geht es genau darum: Man schaut unter die „Wasserlinie“ der eigenen Talente auf das, was Menschen ausserdem noch können. Der Mensch ist mehr als nur das Stellenprofil.

Das Programm im Überblick:

Laufzeit: 20.9. bis 20.12.2023
Umfang, Ort und Teilnehmer*innen: 2 h pro Woche in einem virtuellen Setting und in kleinen Gruppen von je 4-5 Personen
Kosten: 380 € für Mitarbeitende aus Unternehmen, 50 € für Hochschulangehörige


Sie sind interessiert? Für weitere Informationen und Details richten Sie sich gerne an Isabel Oostvogel: oostvogel@wissenschaftsverbund.org.

Mehr Informationen zur WOL-Methode finden Sie hier oder in diesem kurzen Video.

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